Das Schicksal ist eine launige Schlampe
Eigentlich war heute mein Bedürfnis über meinen Nachbarn zu schreiben, über den Fortschritt meines Netzes, über die braunen Augen, die mich anfunkeln, über das verschwörerische Lächeln auf seinen Lippen.. Eigentlich sollte heute kein Tag sein, der IHM gehört..
Aus welchen Gründen auch immer, ich glaube es lag an Breaking Benjamin in meinem Ohr, hatte ich das ohmächtige Bedürfnis ihm zu schreiben.. Ehe ich das bewusst wahrnahm, hatte ich schon mehrere Optionen was ich ihm in welcher Wortwahl schreiben könnte, geprüft, verworfen, neu aufgegriffen, ehe das große "STOP!" durch das Bewusstsein schoß. Mit Hängen und Würgen habe ich es unter Kontrolle gebracht, habe mich wie immer auf den Zorn auf ihn konzentriert, auf das, was er angerichtet hatte in den letzten Wochen und Monaten, dass er alles kaputt gemacht hat und dass es nie wieder so sein würde, fokussiert und irgendwann war es fort.. Die Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege; oh, schau, ein Windrad!
Als seine Nachricht kam, glaubte ich kurz mich verlesen zu haben.. Eine Wahnvorstellung.. Ich war tatsächlich überrascht, denn ich hatte offenbar aufgegeben darauf zu hoffen, dass er sich melden würde.. Er tat es mit seinem obligatorischen "Hey", für das man ihm schon in die Fresse hauen möchte.. Ich war so perplex angesichts des morgendlichen Zwists mit mir selbst im Auto, dass ich darüber schon wieder schmunzeln musste..
Mir war binnen dem Bruchteil einer Sekunde klar, dass ich ihm antworten würde.. Natürlich würde ich das! Nichts in der Welt konnte mich davon abhalten.. Aber wie.. und vor allen Dingen.. wann? Er sollte nicht glauben, dass ich darauf gewartet hätte.. Ich zwang mich das Handy beiseite zu legen.. Im gefühlten Minutentakt schaute ich wieder rauf bis er eine halbe Stunde später online war.. Er hat gesehen, dass ich online war in der Zwischenzeit und nicht geantwortet habe.. "Ruhig Blut, noch nicht antworten, lass ihn zappeln.." .. Als ob er zappeln würde.. Zappelte er? Keine Ahnung.. Wieder vergingen die Minuten ewig nicht und in meinem Hirn wurde die Frage laut "Wenn du später mit ihm schreibst, dann habt ihr weniger Zeit, weil er Freitags nie lang Zeit hat.. Was ist, wenn er dann nicht mehr antworten kann? Nicht mehr antwortet und du weißt nicht, warum er schrieb?" ... Moah, das nagte an mir! Nichts desto trotz wiederholte ich das Spiel und nach dem zweiten Mal antwortete ich ebenso mit einem "Hey".. Sehr originell.. Selbstverständlich war es kein digitales auf die Knie schmeißen, keine Liebeserklärung, kein "Ich bin in einer Stunde in Berlin, wo muss ich hin?" Ernsthaft erwartet habe ich es auch nicht aber ich hätte mich darüber.. nunja.. gefreut?
Er würde mich vermissen.. und er wollte, dass ich das weiß.. er habe oft in den letzten Wochen an mich gedacht und in den letzten beiden Wochen Bilder von mir angeschaut und sich versucht an uns zu erinnern..
Leider.. ist zu viel Zeit vergangen.. zu viel passiert.. Ich hätte gern gesagt, dass mein Herz plötzlich wieder anfing zu schlagen aber es blieb stumm.. Ich überlegte lang, was ich überhaupt antworten würde.. welche Antworten was bewirken würde und ob sie das auch tun würde.. Ein beengter Umgang.. Furchtbar..
Ich hätte ihm gern gesagt, dass es mich jeden Tag quält und dass ich das Gefühl habe zu ersticken, dass ich innerlich tot bin und nur noch funktioniere, dass ich mich erschreckend gut unter Kontrolle habe und mich dabei so widerlich fühle, weil ich so gern leben möchte, lachen möchte, glücklich sein möchte - mit ihm.
Stattdessen sagte ich "geht.." auf die Frage wie es mir gehen würde.. Was soll ich auch sagen? Soll ich ihm noch mehr von meinem Inneren vor die Füße kotzen? Ich muss es ohnehin allein wieder aufwischen..
Nichts desto trotz ließ ich mich irgendwann dazu hinreißen ihm zu schreiben, dass er mir fehlen würde.. Nicht, dass es treffend formuliert gewesen wäre oder den Umfang auch nur annährend beschrieben hätte aber ich dachte mir, ehe ich an diesen Worten ersticke, weil ich keine Gelegenheit mehr erhalte sie zu sagen, lass ich sie raus.. Was soll auch passieren? Ich bin bereits am Boden und die Hölle ist mein Ferienhotel, es kann mir nichts mehr passieren..
In geistiger Umnachtung schrieb ich ihm, dass ich gern mit ihm zusammen sein möchte.. Warum auch immer.. vielleicht um es einfach mal gesagt zu haben.. damit er es weiß.. aber er wusste es, denn er schrieb so ganz romantisch, ehrerbietend, wiedergebend "Ich weiß".. Jo.. Danke für's Gespräch.. Dann war er zu Hause, sperrte mich wieder in sein Handy, stellte mich aufs Abstellgleis und mehr als ein resigniertes Seufzen hatte auch ich nicht mehr dafür übrig..
Ja.. ich schreib nicht über ihn.. Er ist nicht der Nabel meiner Welt, nicht das Maß der Dinge.. Ähem.. whatever..
schreibwut am 20. April 18
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...hilft es zumindest, Dinge ausgesprochen zu haben. Dass du gerne mit ihm zusammen wärst und ihn vermisst. Und dann, ja, die Zeit, die die Trauer braucht, darüber, dass es manchmal eben nicht geht oder sein kann, aus welchen Gründen auch immer.