sachlich, objektiv, beschissen.
Noch ehe es mir bewusst wird, atme ich schon schwer. Mit der Erkenntnis dieses Umstands fühlt es sich plötzlich an, als würden riesige Pranken jede einzelne Rippe von außen nach innen drücken.. Ich bekomme keine Luft mehr, mein Brustkorb wird zusammen gepresst unter einem unsichtbaren Druck, der weit mehr als nur Beklemmungen auslöst.. Ich mahne mich zur Ruhe, obwohl die Panik schon an der Tür kratzt.. Ich schließe die Augen, ignoriere das Turbinendröhnen meines Pulses in meinen Ohren und versuche einfach nur tief ein- und auszuatmen..
„Der Test war positiv..“
- Natürlich, was auch sonst?!
Ich presse die Lider aufeinander, versuche alles auszublenden.. Ein leises Knacken, ein Ratschen und ein Knirschen.. Ich spüre es mehr in mir, als dass ich es höre.. Ein heftiger Schmerz durchzuckt meinen Oberkörper, die ersten Rippen sind gebrochen..
Die Schatten werden panisch, fliehen im Zickzack, meine Verteidigung arbeitet auf Hochtouren, die Defensive baut sich auf wie eine unüberwindbare, glatte, kalte Mauer.. Wenn man mich fragen würde, wie ich das mache, könnte ich es nicht einmal erklären. Ich brülle keine Befehle. Die Schattenseele schleppt keine Steine heran.. Es ist.. eine Verlagerung von Energie, ein Schutzreflex, ein Überlebenstrieb, der sich präzise ausgearbeitet hat.. Instinktiv, intuitiv ohne Worte, ohne mögliche Benennung, gleitet die Mauer in die Höhe, umkreist mich von allen Seiten und allmählich lässt der Druck nach.. Der Schmerz bleibt, es fühlt sich danach an als würden Knochensplitter durch meinen Körper treiben..
Die Gedanken überschlagen sich, drehen Loopings, fallen ineinander, verbinden sich und driften in irrwitzigen Konstellationen wieder aus meiner Reichweite.
Irgendwann kommt immer dieser eine Moment und auf den warte ich.. mit erzwungener Ruhe, mit einer Ungeduld, die mich zum Beben bringt.
Du sitzt da, dein Leben ist wortwörtlich soeben gefickt worden, das Schicksal setzt sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor dich und sieht dich herausfordernd an mit einem „So.. Schach.“ und wartet lauernd auf deinen nächsten Zug.
Die Stimmen in meinem Inneren werden lauter. Sie reden durcheinander, ich bekomme nur Fetzen mit.. „Vielleicht ist es nur eine Zyste..“ „Haha, der Wichser hat mit seiner Frau gebummst und die zweite Frau geschwängert, ich kann nich‘ mehr!“ „Vielleicht verlässt er sie jetzt, das ist der Moment der Entscheidung.“ „Mach dich nicht lächerlich.. Er hat sich nicht mal getraut ein beschissenes Kondom zu benutzen, weil sie sonst dumme Fragen gestellt hätte. Einen Scheiß wird er tun.“ „Ohjeje, das ist nicht gut.“ „Ich kann nich‘ mehr, selten so viel gelacht – hachja – das ist doch mal eine willkommene Wendung.“
Mit der stillen Konzentration einer lauernden Raubkatze bringe ich sie – wenigstens für einen Moment – zum Schweigen..
Natürlich weiß er nicht was er tun soll. Er ist hilflos wie ein Welpe.. Dabei wissen wir Beide, dass er sich soeben in eine Entscheidungslage gefickt hat, die ich nicht zu verantworten habe und dass diese Entscheidung nicht zu meinen Gunsten enden wird. Die Antwort ist mir klar und dennoch trifft sie mich wie in Pfeil in die Schulter, ich taumel zwei Schritte zurück, doch gehe nicht in die Knie.
Es besteht die Möglichkeit sie wolle es nicht behalten.. Die Frau ist um die 30, hat ein geregeltes Leben und ist bereits Mutter. Sie wird nicht abtreiben aber er hält sich an diesem Strohhalm fest, denn er ist der letzte auf der fucking weiten Welt..
„Du musst mit ihr reden.“
Er muss ihr sagen, dass er das Kind nicht will. Er muss ihr alles sagen oder sich was ausdenken. Wahrheit gepaart mit entschärfenden Lügen.. Tatsächlich sage ich das nicht, damit es für mich gut ausgeht.. Ich sage und meine es in voller Inbrunst, weil ich es für das richtige halte. Dass bereits zwei Kinder involviert sind, ist .. nicht mehr zu ändern und schlimm genug. So ein Wurm, ein hilfloser, kleiner Mensch hat das nicht verdient.. Ist es ambivalent, dass ich versuche ein ungeborenes Kind zu schützen, das nicht meines ist?! Er zeugt ein weiteres Kind mit einer Frau, die ihm egal ist. Er liebt sie nicht, er liebt dieses Leben nicht, er lebt es nur für seinen Sohn und seine Arbeit.. Kein Kind sollte in einer Welt aufwachsen, in der es keine Liebe, nur Sein gibt.. Nicht, dass das Kind nicht geliebt würde.. Aber wo soll es enden..? Ich kenne ihn so gut.. Er wird sich selbst hassen.. und wenn er das Kind ansieht, wird er so viele Momente haben, in denen er nur den Grund sieht, wieso das mit mir geendet hat.. Das hat kein Kind verdient.. Der Gedanke graut mir.. Ich schmunzel dieses erschöpfte, schiefe Lächeln als mir Gewahr wird, dass ich es völlig ernst meine, wenn ich sage, dass sie es wissen muss.. Dass sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigen darf mit welchem Mann sie ein weiteres Kind in die Welt setzt und in welche Beziehung das Kind geboren wird.. Er muss ihr nicht sagen, dass er bereits zahlreiche Frauen zwischenzeitlich gefickt hat bis zu dem Zeitpunkt als sein erstes Kind unterwegs war – ohja, die Story ist ungefähr die Gleiche.. Und er blieb der Linie treu bis ich aus der Asche stieg.. Er weiß so gut wie ich, dass er es nicht wiederholen kann.. Er kann nicht alles abbrechen und weitermachen wie es ihm schon einmal gelang. Ich bin diejenige welche. Ich war es immer. Alle seine Frauen mussten sich an mir messen und sind glorreich gescheitert, so auch diese, die sein Bett teilt..
Aber er wird es nicht tun. Nicht so, wie er müsste. Weil er ein Feigling ist, weil er Angst hat alles zu verlieren.. Nicht, dass das nicht verständlich wäre.. aber aus Feigheit, endloser Dummheit und Ignoranz hat er sich in diese Situation gebracht und irgendwann muss sich jeder für sein Tun rechtfertigen, egal vor wem..
Er weiß es ist das Ende, wenn sie es behält. Er hat so hart dafür gearbeitet und Monate Arbeit reingesteckt, dass ich meine moralischen Bedenken und mein mich auffressendes schlechtes Gewissen gegenüber seiner Familie, insbesondere seinem Sohn, in ein dumpfes Gefühl in der Magengegend gewandelt haben, das sich gut ignorieren lässt. Ein hilfloses Baby ist ein ganz neues Level, der Endboss quasi.. Das würde ich nicht verantworten können.. und ich will es auch nicht..
Er antwortet irgendwann nicht mehr..
Ich bleibe zurück und blicke auf die glatte, schwarze Mauer vor meinen Augen, die langsam aber sicher Risse zieht..
schreibwut am 25. Juni 18
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